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Von häretischem Gedöns und der Unverzeihlichkeit der Langeweile
Ein Kommentar aus homiletischer Sicht
Prediger_innen, die ihre Kanzelrede mit der stereotypen Ankündigung einer Provokation beginnen, stehen aus gutem Grund unter dem Verdacht, letzten Endes doch nur sich selbst zu predigen. Das gilt auch für Theologieprofessoren, wenn sie sich bei den Häretikern bedienen, um marktschreierisch irgendwelche Menschen aus einem angeblichen Kirchenschlaf wecken zu wollen.
Notger Slenczkas Argumentation in seinem 2013 erschienenen Aufsatz „Die Kirche und das Alte Testament“, dessen Kernthesen nun in mehreren Einzelschriften verteidigt und bestätigt wurden, ist aus theologischer Sicht im Ganzen und aus homiletischer Perspektive im Besonderen unhaltbar. Slenczka folgt im Wesentlichen Adolf von Harnack, der in seiner Schrifttheologie auch dem Neuen Testament nur recht widerwillig („weil sich eine bessere Urkundensammlung für die Bestimmung dessen, was christlich ist, nicht schaffen lässt.“) einen kanonischen Rang einräumt – eine solche begrenzte, zweckrationale Sicht auf die Schrift aber ist einer Kirche, die sich selbst vollmundig als „Kirche des Wortes“ bezeichnet, nicht angemessen, weil es die Eigenwirksamkeit des Wortes, das „nicht leer zurückkommen wird“ (Jes 55), negiert.
Auch Harnacks progressives Geschichtsverständnis ist nicht nur, entgegen aller anderslautenden Beteuerungen seiner Epigonen, in ihrer religionsgeschichtlichen Ausrichtung implizit antijudaistisch (und antikatholisch und letzten Endes antiökumenisch), ihr liegt auch Verständnis von einer sich einseitig positiv weiterentwickelnden Menschheit zugrunde, das aus geschichtswissenschaftlicher Sicht unhaltbar ist.
Slenczka sieht im AT das „Zeugnis einer Stammesreligion mit partikularem Anspruch“, dem er den universalen Charakter des NT entgegenstellt. Aus homiletischer und predigtpraktischer Sicht ist diese inakzeptable Abwertung der Hebräischen Bibel besonders fatal: Lebensnahe und Leben verändernde christliche Verkündigung lebt von den Erinnerungsorten dieser „Stammesreligion“, von den Erzählungen um die Lagerfeuer der Karawansereien, von Wüstenwanderungen und durchwachten Nächten in den zugigen Zelten der Heimatlosen.
Der mutwillige Verzicht auf den „Überschuss“ der Hebräischen Bibel an Erzählstoffen, an Erfahrungen von Armut und Müdigkeit, an skandalös realistischen Darstellungen von Eros und Politik (Miskotte), kann kaum zu etwas anderem führen als zu Predigten, die steril, vergeistigt und unerträglich langweilig sind. Mehr noch: Für Kanzelreden, die christliche Identität außerhalb des „Wahrheitsraums“ (Crüsemann) der Hebräischen Bibel konstruieren wollen und damit die durch den Lauf der Geschichte hindurch wirksame Treue Gottes verneinen, bleibt nur die Flucht in höchstens philosophisch reizvolle Gedankenspiele über das „Wesen des Christentums“, die letzten Endes selbstreferenziell bleiben müssen. Und damit trostlos.
Die Evangelische Kirche hat das seit Längerem erkannt und unternimmt in der derzeiterprobten Perikopenrevision den dankenswerten Versuch, „aufgrund der in den vergangenen Jahrzehnten stärker bewusst gewordenen Bedeutung des Alten Testamentes für den christlichen Glauben Umfang und Funktion der alttestamentlichen Texte im Gefüge der Perikopenordnung neu zu bestimmen.“ Aus homiletischer Sicht erscheint dies verheißungsvoller und auf heilsame Weise provokanter als postmoderner Markionismus.
Holger Pyka